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Hans Holbeins Totentanz und seine Vorbilder – Die gedruckten französischen Totentanzbilder
IT den besprochenen drei Totentänzen ist die Reihe der nachweisbaren französischen Darstellungen dieses Gegenstandes keineswegs erschöpft; von den Gemälden und Skulpturen sind aber die meisten zerstört, andere nicht publiziert, so dass wir nur eine flüchtige Kunde von ihrer Existenz besitzen. Die letzte Aufzahlung aller dieser Denkmäler gab Seelmann.
Von den Kopien abrder Pariser Danse mace hält sich, wie ich schon auseinandersetzte, nur die erste Buchausgabe von 1485 genau an das Original. Die Miniaturen, die angeblich kurz vorher, gegen das Ende der Regierung Ludwigs NI. entstanden, fügten schon manches hinzu, was sie anderen Quellen entnahmen, nämlich die Legende der drei Toten und drei Lebenden, den apokalyptischen reitenden Tod, die vier musizierenden Toten und den ganzen Frauenreigen. Und diese Zuthaten gingen darauf in die Drucke der Danse macabre über. Schon die zweite Ausgabe von 1486 enthielt davon die musizierenden Toten, die genannte Legende, dann aber noch hinter dem Maistre (zweiten Prediger) das Bild eines Schriftstellers, der einen zweiten Epilog spricht, endlich zehn neue Totentanzpaare, in den späteren Ausgaben kamen der reitende Tod, der Frauenreigen und noch verschiedene kirchlich lehrhafte Dich-tungen hinzu, die vollends keine Beziehungen zu dem Totentanz haben. Das Ganze wurde gleichzeitig in die französischen Gebetbücher jener Zeit, die Livres d´Heures aufgenommen.
Diese Vermehrungen hatten aber auf den eigentlichen Inhalt der Danse macabre keinen weiteren Einfluss, berührten in keiner Weise ihre ursprüngliche Auffassung und Form. Und die Art und Weise, wie sie mit dem stereotyp wiederholten ursprünglichen Werk verbunden wurden, ist geradezu eine gedankenlose zu nennen. Die Gruppe der vier musizierenden Toten, die der ursprünglichen Danse macabre ganz fremd ist, kann nur eine Entlehnung vom Baseler Totentänze sein; denn die Heures von 1490 (die erste Ausgabe dieser Gebetbücher mit einem Totentanz, vgl. Massmann No. 49 und Faxglois) enthalten zwei musizierende Tote vor einem Beinhausc, also genau das alte Baseler Bild), Während aber in Basel die Toten des Beinhauses die Tanzpaare mit Musik auf dem Friedhofe empfangen, also durchaus an ihrem Platz sind, haben sie in der Danse macabre eine ganz andere Bedeutung und erweisen sich als eine ganz unmotivierte Zuthat. Sie stehen nämlich auf demselben Wiesenplan wie der Totenreigen und halten ermahnende Reden an das Publikum, die ganz offenbar an diejenigen der drei Toten in der Legende anklingen**). Und da nun noch diese Fegende selbst folgt, deren Verwandschaft mit dem toten König schon erläutert wurde, so begegnen wir darin der Geschmacklosigkeit, dass diese drei verschiedenen Totengruppen, die Musikanten, der tote König und die drei Toten der Fegende wesentlich dasselbe Geschäft besorgen, das schon dem Actcur und dem Maistre zufiel.
Nicht weniger ungeschickt sind die übrigen Zusätze. Der Schriftsteller mit dem zweiten Epilog ist unmittelbar hinter dem Epilog des Maistre eine recht überflüssige Wiederholung; und die 1 infugung der zehn neuen ranzpaare wurde zum Teil ganz mechanisch besorgt. Wir sahen, dass der Tod der gemalten Danse macabre seine Anreden an drei Stellen, beim Karthäuser, dem Franziskaner (Cordelier) und dem Eremiten, mit einem letzten Bescheid an die vorausgehenden Personen beginnt. Diese sind in dem Originaltext der Kaufmann, der Bauer und der Küster, nach den Einschaltungen von 1486 aber der Komme darmes, der Schäfer und der Küster, so dass an den zwei ersten Stellen Abänderungen der genannten Anreden vorgenommen werden mussten. Der Anfang der ersten Anrede (an den Karthäuser) lautet 1485:
„Alez marchant sans plus rester Ne faites ja cy resistence Vous ny povez ricn conquester“
1486 (nach Le Roux de Lincy und Tisserand):
„L’homme darrnes plus cy narr este Mais meurt sans faire resistence Car plus ne peut faire conqueste.“
Der Dichter von 1486 beschränkte also seine Korrektur auf die Änderung des Namens der vorausgehen-den Person und der direkten Anrede), ohne zu beachten, dass die Doppelanrede in dem Bildertexte überhaupt eine fehlerhafte Ausnahme war und ganz beseitigt werden sollte. Noch nachlässiger war die Korrektur der zweiten Stelle. Dort heisst es 1485: „Faites voie vous avez tort laboureur,“ weil dieser seine Klage mit den Worten geschlossen hatte: „Au monde na point de repos.“ 1486 wurde in dem ersten Satz lediglich
„laboureur“ in „bergier“ geändert, obschon zu dessen letztem Wort: „A tous vivans la mort court sure“ — der Bescheid des Todes: „Vous avez tort“ — ganz und gar nicht passt. Man sieht daraus so recht die Hast, womit der Herausgeber nach dem Erfolg der ersten Aus-gäbe die zweite zu vermehren sich bemühte („augmentée de pleu-seurs nouveaux parsonnages et beaux dis“). Auch der schon in der Miniaturhandschrift: vorkommende Erauenreigen ist bloss eine wenig überlegte Nachahmung des Männerreigens; dies zeigt sich in dem Mangel einer verständlichen Reihenfolge, ferner darin, dass mehrere Stände mit geringen Abänderungen doppelt wiedergegeben sind1) und dass mehrere Frauen nicht sowohl einen Stand als vielmehr einen individuellen Zustand repräsentieren (la théologienne, la femme grosse, la mignotte, la bigote — vgl. Laxgi.ois II, 19). Kurz, alle Zusätze zu der originalen Danse macabre haben sie nur äusserlich vergrössert, ohne sie innerlich auch nur im geringsten umzugestalten; sie hat in ihren Kopien keinerlei Entwickelung erfahren, sondern ist von ihrer Entstehung an stereotyp dieselbe geblieben.
Eine besondere Erwähnung verdient noch eine verwandte Bilderreihe in verschiedenen Livres d’Heures, die auch unter dem Namen eines Totentanzes geht (Langiois, Massmann), aber doch ganz anderen Inhalts ist ). Es werden darin als „Accidents de l’homme“ verschiedene Todesarten durch Unglücksfälle und Gewalt (Abels Ermordung, Hinrichtungen u. A.) dargestellt , wobei eine daneben stehende Todesgestalt ausserdem noch mit einem Pfeil auf den Sterbenden zustösst, also den abstrakten Tod personifiziert. Diese Bilder sind aus einem zu Anfang des 16. Jahrhunderts erschienenen Buche „Les loups ravissants“, entnommen und haben mit dem Totentanz nichts weiter gemein als die in jener Zeit so überaus populäre Darstellung des Todes überhaupt. Doch verdienen sie unsere Aufmerksamkeit in anderer Hinsicht: ihre Todesgestalten sind bereits in den Heures von 1509 als wirkliche Skelette behandelt, freilich roh und flüchtig, aber doch unverkennbar. Ja, in diesen wie in den wenig jüngeren Heures von 1515 (der Münchener Hof- und Staatsbibliothek) findet man auf dem Titel an Stelle des bekannten Aderlassmannes ein etwas grösseres Skelettbild, annähernd richtig gezeichnet und den gleichzeitigen ersten anatomischen Skelettbildern von Hki.a (1493) und Schott in Strassburg (1517) mindestens ebenbürtig, ohne sich jedoch irgendwie an das ältere Helasche Bild anzulehnen.
Über einige italienische Totentanzbilder
Für die Geschichte des Totentanzes sind die hier zu erwähnenden italienischen Totentanzbilder weniger wichtig, da sie aus freien Nachahmungen verschiedener Vorbilder hervorgingen, ohne dem Gegenstände neue Motive hinzuzufügen. Ich hebe daher nur ge-wisse Einzelheiten hervor.
Der Totentanz zu Clusone , der offenbar noch dem 15. Jahrhundert angehört, ist bemerkenswert als der älteste Totentanz mit wirklichen Skeletten. Sie sind freilich ganz unrichtig gezeichnet, aber mit der unverkennbaren Absicht, nur die Knochen wiederzugeben. Dies geht namentlich aus dem völlig leeren Rumpf und der vollständigen Ansicht der Wirbelsäule von vorn hervor. — Das um 1500 in Venedig entstandene xylographische Blatt mit fünf Totentanzpaaren, das durch die Reihenfolge der Stände (Bürger, Astrolog, Richter, Abt, Edelmann) an den französischen Totentanz erinnert, zeigt wieder Totengestalten mit fleischigem Rumpf, etwa so wie in dem gedruckten „Totendantz“. Dagegen finde ich in einem, dem Inhalte nach nur entfernt verwandten italienischen Doppelgemälde, dem Dogma della Morte in Pisogne, das nach Vallardi derselben Zeit um 1500 angehören soll , den Tod zweimal durch ein Skelett dargestellt, das zweifellos nach der Natur, wenn auch wohl nicht nach einem vollkommen montierten Objekt gezeichnet ist. Verschiedene Personen dieses Bildes tragen Spruchbänder, deren Inschriften nach Vallardi unleserlich sein sollen; in der Abbildung erkenne ich aber deutlich deutsche Worte, die doch wohl nur von einem deutschen Maler herrühren können.
Auch an dem Totentanz von Clusone ist die Entlehnung von den nördlichen Nachbarn nachweisbar. Da ein Text fehlt und eine Anzahl von Paaren zerstört ist, so lassen sich nicht alle Personen sicher bestimmen; immerhin kann jede der bekannten Reihenfolgen ausgeschlossen werden. Der fortlaufende Reigen oder wenigstens der enge Anschluss aller Paare aneinander erinnert an französische Gemälde. Die kenntlichen Personen des Amtmanns, des JünglingJ des Kaufmanns und des Sergeants (Vogt?) können sowohl französischen wie deutschen Ursprungs sein; dann folgt aber eine Person geringeren Standes mit kurzem Wams und einem Küchengeschirr, also wohl ein Koch, ferner ein Bauer mit an beiden Knieen zerrissenen Beinkleidern, zuletzt eine Edelfrau, sich im Spiegel betrachtend, während ein Toter hinter sie tritt. Diese drei Gestalten können nur von Basel stammen; und auf dieselbe Quelle weist noch ein anderes Merkmal hin. Das Hauptmotiv des über dem Totentänze von Clusone befindlichen Triumphes des Todes ist, dass alle Stände ihm Geld und Kostbarkeiten anbieten, damit er sie schone*); dieses Motiv ist aber schon im Bilde des Wucherers in Gross-Basel verwendet und im Text des Kaufmanns von Klein-Basel enthalten.
So sehen wir also schon im 15. Jahrhundert den Einfluss Basels neben dem französischen nach Italien Vordringen, ein Zeichen, wie schnell sich der Ruf des „Todes von Basel“ verbreitete.
Aus dem Buch: Holbeins Totentanz und seine Vorbilder (1897), Author: Goette, Alexander.
Siehe auch:
Hans Holbeins Totentanz und seine Vorbilder – Einleitung
Über Inhalt und Ursprung der Totentänze