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Über Inhalt und Ursprung der Totentänze

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Hans Holbeins Totentanz und seine Vorbilder – Über Inhalt und Ursprung der Totentänze

IE Volkstümlichkeit des mittelalterlichen Totentanzes war eine so grosse, dass wir ihm in allen Kunstgattungen begegnen; mit aller Bestimmtheit wird uns überliefert, dass er als Schauspiel von lebenden Personen aufgeführt wurde, unmittelbar kennen wir verschiedene Niederschriften davon und endlich bildliche Darstellungen in Gemälden, Holzschnitten, Miniaturen und Bildhauerarbeit. Ebenso gross wie diese Mannigfaltigkeit seiner Erscheinung ist seine Verbreitung. Freilich ist seine eigentliche Heimstätte auf Frankreich und Deutschland beschränkt; von dort aus und namentlich von Frankreich drang die Dichtung auch nach Spanien, England und Italien \or, erreichte aber in diesen Ländern niemals das Mass von nachhaltiger Volkstümlichkeit wie in ihrer erstgenannten Heimat.

Alle diese Totentänze führen, trotz vieler Abweichungen im einzelnen, denselben Grundgedanken aus. Sie schildern nicht das Sterben der Menschen schlechtweg wie die gleichzeitigen Todesbilder, namentlich in den Miniaturen, sondern verfolgen den besonderen Zweck, das Memento mori jedermann besonders eindringlich zu predigen. Dazu dient vor allem die gleichzeitige Vorführung der verschiedensten Personen in der Todesnot sowie ein erläuternder Text, der die bildlichen oder szenischen Darstellungen begleitet, ln den Bildern vom Schauspiel besitzen wir keine Beschreibung — sieht man in langer Reihe jeden Stand, vom höchsten an, und jedes Alter vertreten, nicht selten auch Frauen neben den Männern; zu jeder dieser Personen gesellt sich eine Totengestalt, die sich, oft nach einer irgendwie kenntlich gemachten Musik, in einem feierlichen oder lebhaften Tanzschritt bewegt und ihren, Partner mit sich fortzieht, was eben den Tod des letzteren bedeutete. Die ganze Reihe sollte aber jeden Beschauer daran erinnern, dass vor dem Tode kein Stand und kein Alter sicher seien, dass er alle in gleicher Weise und unversehens hinraffe. Der begleitende Text fügte dazu die Mahnung des honeste vivendi et bene moriendi. In den Wechselreden zwischen den Vertretern der verschiedenen Stände und den sie führenden Toten halten diese den ersteren die Vergänglichkeit ihrer irdischen Macht und Grösse, aller Last und jedes Besitzes vor, da sie doch jetzt unweigerlich zum Tanze antreten müssten, der sie den übrigen Toten einreiht. Die Lebenden antworten mit Klagen über ihr Schicksal, dem sie sich resigniert fügen.

Die Übereinstimmung dieses Grundgedankens in allen Totentänzen weist natürlich auf eine gemeinsame Quelle aller hin. Wo und in welcher Kunstform diese zu suchen sei, ist schon in der verschiedensten Weise beantwortet worden; ich kann aber die «ranze frühere Diskussion übergehen, nachdem die Frage durch die neuesten Forschungen, wie mir scheint, mit aller Sicherheit entschieden ist. Einmal ist die lange Zeit festgehaltene Annahme, dass das Klingenthaler oder Kleinbasler Totentanzgemälde 1312 entstand und daher die älteste Darstellung dieser Art war, durch Burckhardt-Biedermann widerlegt worden: die falsch gelesene Zahl lautete 1512 und bedeutete wahrscheinlich eine Übermalung des Bildes, die in jener Zeit stattgefunden haben muss. Infolge dieser Entdeckung sind wir auf die französischen Denkmäler als die ältesten datierten hingewiesen. Zweitens hat Seelmann ganz schlagende Beweise dafür geliefert, dass der Totentanz in Frankreich als Drama begann.

Die älteste direkte Nachricht über den französischen Totentanz findet sich bei einem französischen Dichter des 14. Jahrhunderts, der ihn mit dem in Frankreich oder wenigstens in Paris üblichen Namen „Danse macabre“ als eine bekannte Darstellung erwähnt . Dann ist der handschriftliche spanische Text „La damja general de la Muerte“, wie schon längst anerkannt ist und Seelmann auf Grund des eigentümlichen Versmasses bestätigt hat , eine Bearbeitung des französischen Textes aus dem 14. Jahrhundert In dieser spanischen Dichtung tritt nun der Tod selbst auf, der die Vertreter der verschiedenen Stände einzeln aufruft, ihre Klagen anhört und beantwortet.

Seelmann hat ganz zutreffend auseinandergesetzt, dass der Tod, der einen Lebenden aufruft, ihm auf seine Klagen antwortet und im unmittelbaren Anschluss daran, in derselben Strophe, den folgenden Lebenden aufruft u. s. w., durch die ganze Dichtung hindurch dieselbe Person sein müsse. Ein solches Nacheinander der Wechselreden verschiedener Personen mit einem und demselben „Tod“ konnte natürlich nur in einer Dichtung oder einem wirklichen Schauspiel Vorkommen, bildlich aber nicht dargestellt werden, ohne dass der Tod bei jeder einzelnen Person wiederholt wurde; und in der That zeigen uns die französischen Gemälde des 15. Jahrhunderts zu Paris, Kermaria und La Chaise-Dieu eine solche fortlaufende Reihe mit einem regelmässigen Wechsel von Totengestalten und Lebenden, von denen die ersteren ihre Beziehungen zum vorausgehenden und zum folgenden Lebenden dadurch anzeigen, dass sie diese beiden Nachbarn anfassen . Ein derartig zusammenhängender Reigen war die einzig mögliche Form, in der das Bild den oben geschilderten Vorgang veranschaulichen konnte, wodurch aber zugleich sieh ein Widersprueh zwischen Bild und Text ergab. Denn nach dem letzteren war der eine Tod die einzige bleibende Erscheinung, während die verschiedenen Stände einzeln an ihn herantreten und nach der Weehselselrede abtreten, um dem Nachfolgenden Platz zu machen, statt dessen stellen sich im Bilde alle Stände mit ebenso vielen Totengestalten in einem Reigen gleichzeitig dar. Eine Übereinstimmung konnte also nur dadurch herbeigeführt werden, dass der Text sich der bildlichen Darstellung anpasste, die Todesgestalt ebenfalls vervielfältigte und jede von ihnen nur mit einem Lebenden sprechen hess, d. h. die Gesamtheit der genannten Personen in Paare ordnete. Eine sülche Ab-änderung des ursprünglichen Textes ist denn auch in Paris und Kermaria eingetreten (das Gemälde von La Chaise-Dieu hatte keinen begleitenden Text).

Schon aus jener Verschiedenheit des ältesten aus Frankreich stammenden Totentanztextes, nämlich der spanischen Danca general de la Muerte (14. Jahrhundert) und der ältesten französischen Gemälde (15. Jahrhundert) kann auf die Priorität der in jenem Text erhaltenen Gestalt des Totentanzes geschlossen werden, auch wenn daneben, also schon im 14. Jahrhundert, Gemälde des Totentanzes existiert haben sollten. Denn hätte er gleich anfangs aus einem Reigen mit zahlreichen Totengestalten bestanden, so wie es die uns bekannten Gemälde zeigen, so wäre seine spätere Verwandlung in einen fortlaufenden Dialog des einen Todes mit allen Lebenden ganz unmotiviert und unwahrscheinlich. War aber das letztere, wie danach anzunehmen ist, die ursprüngliche Form, so konnte sie nur in einer Dichtung entstanden sein und musste zur Veranschaulichung in einem Bilde in der angegebenen Weise umgearbeitet werden.

Wir besitzen aber noch evidentere Zeugnisse dafür, dass die Bilder eine spätere Form des Totentanzes sind. In Lübeck befindet sich nämlich ein Totentanzgemälde in der Form eines zusammenhängenden Reigens, dessen ältester niederdeutscher Text dieselbe Einrichtung besass wie die Danca general; erst später wurde er durch einen anderen, dem gemalten Reigen besser angepassten hochdeutschen Text ersetzt. In diesem Fall kann vernünftigerweise nicht angenommen werden, dass der erste Text in Lübeck oder in dem etwaigen auswärtigen Vorbilde seines Totentanzes absichtlich im Gegensatz zum Bilde verfasst wurde; die einzig mögliche Auffassung ist vielmehr nur die, dass seine uns niederdeutsch überlieferte Gestalt die ursprüngliche war, die alsdann im Bilde die abweichende Reigenform erhielt, weil eine andere gemalt nicht möglich war. Ganz ähnlich ist es auch bei dem zweifellos älteren Totentanzgemälde in Paris gegangen. Dies ergiebt sich ganz klar aus dem ebenfalls von Skelmann hervorgehobenen Umstande, dass an einer Stelle des dem Bilde angepassten begleitenden Textes die alte Fassung aus Unachtsamkeit stehen geblieben ist: der Tod des Karthäusers leitet nämlich seine Anrede an diesen seinen Partner mit einem Bescheid an den vorausgehenden Lebenden, den Kaufmann, ein, spricht also in derselben Strophe zwei Personen an. Und da sich dies, wie ich ergänzend bemerken will, noch zweimal wiederholt, beim Franziskaner und beim Eremit, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Vorlage des Pariser Textes durchweg in jener Weise, d. h. übereinstimmend mit dem spanischen und dem Lübecker Text, verfasst war.

Es steht also fest, dass der französische Totentanz, bevor er gemalt wurde, in einer Form existierte, die nur in einer Dichtung oder einem wirklichen Bühnenspiel möglich war und von allen späteren, den Bildern angepassten Texten abwich. Man kann ja diese älteste Form im Hinblick auf die Handlung schlechtweg eine dramatische nennen; damit allein ist es aber noch nicht erhärtet, dass der älteste französische Totentanztext thatsächlich zu einer szeenischen Aufführung gehörte und diente und dass folglich der Totentanz gerade in dieser Kunst form ins Leben trat. Auch die urkundlichen Nachweise solcher Aufführungen in Frankreich können nichts entscheiden, da sie sich auf eine Zeit beziehen, als es bereits Gemälde desselben Gegenstandes gab, die also älter sein konnten als das Bühnenspiel (vgl. Langlols, Ditour, Sciinaask). Wackernagel hat freilich ausgesprochen, dass, wenn eine solche dramatische Dichtung wie der Totentanz im 14. oder einem früheren Jahrhundert bestand, sie dann auch sicherlich zur öffentlichen Aufführung kam, auch wenn dies nicht verbürgt ist; denn „dem Mittelalter war die Unnatur noch fremd, dergleichen bloss zu schreiben und zu lesen, nicht aber auch zu Spielen“ . Dieses Argument ist aber mehr geistreich als überzeugend, wie der scharfe Widerspruch Schnaases beweist. Dagegen hat SEELMANN ein direktes Zeugnis dafür aufgefunden, dass jener älteste Totentanz in der That zu Aufführungen diente . In dem Revaler Totentänze, einer Kopie des Lübecker Gemäldes, ist im Texte auch die Umleitung, die Anrede des das Schauspiel leitenden Predigers an die Zuschauer, erhalten, die in Lübeck verloren gegangen ist. Durch die ersten Worte: „Och redelike creatuer“ — erweist sie sich als eine Nachbildung des entsprechenden französischen Stückes mit dem Anfang: „O crcature raysonnable“; während aber der französische Prediger seine Zuhörer auf die folgende „Danse macabre“ hinweist, findet sich an derselben Stelle in Reval das Wort „spectel“ (spectaculum, Bühnenspiel). Da nun eine Aufführung des Totentanzes in Lübeck, woher doch der Revaler Text stammt, auf Grund urkundlicher Nachrichten ganz ausgeschlossen ist (Seelmann) , so muss jene Bezeichnung des Totentanzes als eines Bühnenspieles auf das französische Vorbild bezogen werden. Auch scheint mir aus der allgemeinen Übereinstimmung jener französischen und der niederdeutschen Einleitung hervorzugehen, dass das Wort „Danse macabre“ geradezu in spectel übersetzt w urde und folglich noch im 15. Jahrhundert nicht einen Totentanz schlechtweg, sondern den gespielten Totentanz bedeutete. Um so bestimmter kann nunmehr jene Erwähnung des Danse macabre durch einen französischen Dichter des 14. Jahrhunderts auf das Schauspiel bezogen werden.

Aus diesem Ursprung des französichen Totentanzes versteht sich auch die ganz untergeordnete Rolle, die sein bezeichnendstes Merkmal, der Tanz, in den Texten spielt. Wären sie selbständige Dichtungen gewesen, so hätte er beschrieben oder wenigstens dort, wo er eintritt, erwähnt werden müssen. Er wird aber nur ganz selten, gelegentlich genannt als „dieser“, d. h. als ein gegenwärtiger, im Schauspiel und dann im Bilde sichtbarer Tanz, der deshalb einer Erläuterung nicht bedurfte: die Totentanztexte sind eben durchweg als Begleitungen von sichtbaren Darstellungen verfasst Dies schliesst natürlich nicht aus, dass sie unter dem Einfluss von solchen alten Lehrgedichten entstanden wie die dem 12. Jahrhundert angehörenden „Vers sur la mort“ von dem Klostergeistlichen Thibaud de Marly und die ebenso alten lateinischen Verse von Gautier de Mapes, worin verschiedene Personen über die Herrschaft und unerbittliche Gewalt des Todes klagen . Der Abstand zwischen solchen Dichtungen und dem Bühnenspiel des Totentanzes ist aber so gross, dass es keinen rechten Sinn hat, die ersteren als die „Anfänge“ des Totentanzes zu bezeichnen. Und dies um so weniger, als der Gedanke des eigentlichen Totentanzes ebensowohl durch verschiedene Sitten und Gebräuche, dichterische und volkstümliche Auffassungen des Todes in Wort und Bild, Redewendungen und Legendenstoffe des Mittelalters vorbereitet und vorgebildet erscheint .

Aus den genannten Zeugnissen für die Existenz des französischen Totentanzschauspieles im 14. Jahrhundert geht hervor, dass es noch ein gut Teil älter gewesen sein dürfte; denn in jener Zeit war es bereits so eingebürgert, dass es, wie wir sahen, in Gedichten citiert und in fremde Länder (Spanien) eingeführt wurde. Man wird daher kaum fehl gehen, wenn man seine Entstehung bis in das 13. Jahrhundert zurückverlegt, wofür ich übrigens noch weitere Anhaltspunkte aus den Bildern bei bringen werde. Es bedarf ferner keines besonderen Nachweises, dass es von der Kirche ausging, von den Geistlichen in Kirchen und Klöstern gepflegt wurde und gerade durch ihre Vermittelung in die benachbarten Länder Eingang fand, sei es ebenfalls als Schauspiel oder bloss in Niederschriften und in bildlichen Darstellungen. Sein kirchlicher Ursprung zeigt sich auch in seinem ganzen Zuschnitt, wie er uns aus dem spanischen, französischen und norddeutschen Text bekannt geworden ist. Nicht nur spielt darin das geistliche Element die Hauptrolle, sondern das eigentliche Schauspiel wird uns geradezu als eine Illustration zu der kirchlichen Busspredigt vorgeführt, indem zu Anfang stets ein Prediger auftritt, der die Zuhörer anredet und auf die ernsten Lehren des folgenden Schauspieles hinweist. Erst nach dieser Einleitung tritt der Tod auf, um erst alle Sterblichen im ganzen (Spanien, Lübeck) und dann die Einzelnen zu den Wechselreden atifzurufen, wobei die Geistlichen den Vortritt haben. Endlich schliesst das Ganze wieder mit einer Ansprache eines zweiten Predigers.

Da der Tod des Schauspieles selbst vom Tanze spricht, zu dem die Lebenden mit ihm antreten müssen, so hat man sich zu denken, dass er jede Person, mit der er gesprochen, in einer Art von Tanz abführt, vielleicht in ein irgendwie angedeutetes Grab (Selllmann), um sich dann zur nächsten Person zu wenden. Woher dieser Gedanke des tanzenden Todes stammt, ist trotz aller gelehrten Diskussionen darüber noch unentschieden. Der Tanz macht es aber von vornherein wahrscheinlich, dass eine Musik dazu stattfand; doch findet sich keine Andeutung, dass im französischen Schauspiel der Tod selbst musizierte). Ich werde vielmehr zeigen, dass der Musiker sich dort ausserhalb des eigentlichen Reigens befand; die musizierenden Boten anderer, namentlich dei oberdeutschen Totentänze, sind dagegen eine spätere Erfindung.

Man kann von dem mittelalterlichen Schauspiel des Totentanzes nicht reden, ohne der gleichzeitigen und noch älteren anderen geistlichen Schauspiele zu gedenken, die als Weihnachts-, Epiphanias-und namentlich als Oster- oder Passionsspiele bekannt sind. Zwischen beiden Arten von Schauspielen scheint freilich keine andere Beziehung zu bestehen, als dass sie gleicherweise von der Geistlichkeit ausgingen und in den Kirchen aufgeführt wurden. Dennoch dürfte noch ein weiteres gemeinsames Moment hervorgehoben werden. Jene bekannten Spiele entstanden im Zusammenhang mit dem Gottesdienst an den genannten hohen Kirchenfesten, und erst später und nur gelegentlich wurden sie mit passenden Ergänzungen (Schöpfung, Weitende u. s. w.) zu einem riesigen, christlich-kirchlichen Weltdrama vereinigt. Es liegt auf der Hand, dass der Totentanz, obgleich in demselben Kreise entstanden, in diese wesentlich historischen Darstellungen nicht hineinpasste; dagegen ist es nicht von der Hand zu weisen, dass sein Ursprung ebenfalls mit einem besonders bewegten Gottesdienste verknüpft war, der eben kein anderer sein konnte als die Buss- und Fastenpredigt. Man braucht nur die Prologe und Epiloge der verschiedenen Totentänze zu lesen, um diese Ansicht berechtigt zu finden; und so würden diese Schauspiele ebenfalls als kirchliche Festspiele aufzufassen sein, die nur durch ihren besonderen Inhalt sich von den übrigen geistlichen Schauspielen abschlossen.

Die Erfolge des geistlichen Schauspieles des Totentanzes veranlassten endlich im 15. Jahrhundert die französische Geistlichkeit, den Eindruck, den es auf die Zuschauer ausübte, sich dauernd zu sichern, indem man es auf die Wände der Kirchen und Klöster malen liess. Diese Gemälde dienten also demselben Zweck, wie das Schauspiel; wir besitzen selbst einen unmittelbaren Bericht darüber, dass in Paris auf dem Kirchhofe des Innocents angesichts des dortigen Totentanzgemäldes gepredigt wurde. Das Schauspiel konnte aber, wie wir sahen, nicht ohne weiteres kopiert werden; der Maler musste dem ganzen Vorgang eine neue Gestalt verleihen. War diese neue Anordnung einmal festgestellt, so konnte er an der Hand des Textes seiner Aufgabe leicht gerecht werden, auch penn er keine Gelegenheit hatte, einer Aufführung des Schauspieles beizuwohnen, denn der Inhalt der einzelnen Szenen des Totentanzes war im ganzen einfach genug und durch den Aufbau der Dichtung bestimmt. Die Trachten und Attribute der verschiedenen Stände konnten an öffentlichen Denkmälern, bei Festaufzügen und im gewöhnlichen Verkehr ebensogut studiert werden wie im Schauspiel. Nur eins, was weder durch den Text bestimmt noch im gewöhnlichen Leben vorgebildet sein konnte und dennoch in allen Gemälden des Totentanzes übereinstimmte, musste notwendig nach einem allgemein bekannten, traditionellen Muster gebildet sein :

Die Totengestalten

Diese Gestalten der mittelalterlichen Totentanzgemälde sind nackte oder nur mit Leichentüchern bedeckte Leiber von einer leichenhaften Magerkeit und mit mehr oder weniger gelungenen nackten fleischlosen Totenschädeln. Es unterliegt keinem Zweifel, dass dadurch wirkliche Totenleiber wiedergegeben werden sollten.

Denn genau dieselben Gestalten treffen wir in der ältesten Illustration der bekannten Legende von den drei Lebenden und den drei Toten in Badenweiler , zum Teil auch in den tanzenden Toten der Schedelschen Weltchronik und nicht selten auf Grabmälern, in einer besonders guten, künstlerischen Ausführung auf einem von Laxglois kopierten Grabstein, also in unzweideutigen Darstellungen von Verstorbenen . Mit gleicher Sicherheit kann man behaupten, dass diese Gestalten auch in den gemalten Totentänzen im allgemeinen dieselbe Bedeutung haben.

Allerdings wird sich zeigen, dass in den ältesten Gemälden dieser Art, die ja den einen „Tod“ des Schauspiels vervielfältigen mussten, diese zahlreichen Totengestalten nicht sofort und überall unzweideutig als wirkliche Verstorbene hingestellt wurden. Aber diese anfängliche Unsicherheit kann doch darüber nicht täuschen, dass sie diese Bedeutung alsbald ausnahmslos und ganz bestimmt erhielten. V urden sie doch in den Druckausgaben der Danse macabrc durchweg ,,le mort“, im späteren Frauenreigen „la morte“ genannt, nicht selten sind sie auch im Bilde durch die Brüste und das lange Haupthaar als weibliche Gestalten gekennzeichnet, was wenigstens beim deutschen „Tod“ widersinnig wäre; oder sie treten gelegentlich in derselben Scene in der Mehrzahl auf, wie am Beinhaus der Basler Gemälde , was ebenfalls nur auf wirkliche Tote bezogen werden kann, u. a. m. Diesen Thatsachen gegenüber bedarf der Einspruch Wesselys, dass Verstorbene keine Macht über die Lebenden haben, sie also nicht gewaltsam entführen könnten und folglich die fraglichen Gestalten nur den Tod selbst darstellten, wohl kaum einer ernsthaften Widerlegung, besonders da diese Toten in den ältesten deutschen Bildern auf ihre Partner gar keinen Fodeszwang ausüben, sondern sie  als bereits Sterbende nur gewissermassen als ihresgleichen aufsuchen und an fassen.

Dagegen ist allerdings zuzugeben, dass die gleichen Totengestalten ausser in den genannten Darstellungen von wirklichen Verstorbenen uns auch in solchen begegnen, wo sie ebenso unzweifelhaft den Tod selbst veranschaulichen sollen. Frimmel zählt eine ganze Reihe von französischen Miniaturen aus dem 14. und 1 5. Jahrhundert auf, in denen der Tod beim Sündenfall, am Krankenbett, den Lebensbaum fällend u. s. w. als ein grauer Kadaver mit einem Totenschädel gemalt war. Im 15. Jahrhundert erschienen dieselben Todesfiguren auch in Holzschnitten und Gemälden. Eins jener Miniaturbilder in Brüssel reicht aber angeblich bis an den Ausgang des 13. Jahrhunderts zurück, so dass wenigstens dieses letztere älter wäre als das Badenweiler Gemälde von den drei Lebenden und den drei Toten, das nach Lübke in den Anfang des 14. Jahrhunderts gehört. Es liegt daher die Vermutung sehr nahe, dass gerade jene ältesten Miniaturen die typische Totengestalt der folgenden Zeit aufbrachten, die zuerst in das Schauspiel, dann in die Gemälde des Totentanzes überging.

Wie kamen aber die Miniatoren, die den Tod bis zum 13. Jahrhundert einfach als alten Mann gezeichnet hatten (Frimmel), mit einem Male dazu, ihn mit einem Totenschädel auf einem fleischigen Körper auszustatten ? Die leicht verständliche Ideenverbindung, einen Totenllcib zum Bilde des Todes zu wählen, konnte jene Figur nicht veranlasst haben; denn sie ist weder ein Skelett, in das sie sich erst am Ausgange des Mittelalters verwandelte, noch das annähernd richtige Bild einer noch fleischigen oder mumifizierten Leiche, sondern eine widerspruchsvolle Vereinigung eines beinahe unversehrten Körpers mit einem skelettierten oder sonstwie umgebildeten Kopf. Besonders bezeichnend dafür sind das bereits erwähnte Marmionsche Bildchen und der von Langlois kopierte Grabstein (angeblich vom Jahr 1422?); in beiden Fällen ist der ganze Körper, bis auf den völlig nackten, naturgetreuen Schädel, mit dem vollständigen, ebenfalls richtigen und keineswegs besonders mageren Muskelrelief abgebildet, wobei nur die grosse Öffnung am Bauch die leichenhafte Beschaffenheit des Körpers markieren soll. Beide Künstler haben also unzweifelhaft einen unversehrten (wahrscheinlich sogar lebenden) Körper und einen wirklichen Totenkopf als Modelle benutzt, die, wie gerade sie selbst wissen mussten, vereinigt nicht Vorkommen. Man kann auch nicht sagen, dass dies die Folge davon war, dass damals Totenschädel in jedem Beinhause anzutreffen und daher bekannt waren, nicht aber das ganze Skelett in seinem Zusammenhänge oder in voller Verwesung befindliche Leichen, und dass man daher, um einen Toten zu kennzeichnen, sich mit dem einen bekannten Merkmal eines solchen begnügen musste. Denn gerade die Totengestalten der französischen Totentanzbilder aus dem 15. Jahrhundert besitzen Köpfe, die weder nach wirklichen Schädeln, noch nach Bildern von solchen kopiert, sondern nach willkürlichen Vorstellungen von Schädeln oder selbst fratzenhaft und nach wirklichen Tierköpfen gebildet sind . Es handelt sich also gar nicht um ein ganz bestimmtes Vorbild, das landauf und landab immer wieder kopiert wurde, sondern nur um ein allgemeines Schema, an dem das Totenhafte und das damit verbundene Grausenhafte durch eine möglichst auffällige, aber durchaus nicht immer Schädel artige Kopf bildung erreicht werden sollte.

Dazu kommt noch ein sehr eigentümliches Merkmal, das mit dem natürlichen Zustande einer Leiche kaum etwas zu thun hat. Nach Frimmel waren schon die ältesten der von ihm citierten Todesbilder der Miniaturen ganz grau gehalten ; Jubinal giebt an, dass die Tötengestalten und ihre Gewänder im Gemälde von La Chaise-Dien grau gemalt waren, und nach der Reproduktion des Lübecker Totentanzes möchte ich für seine Toten dasselbe annehmen . In den oberdeutschen Totentänzen endlich begegnet uns Ähnliches in Bild und Wort. So war nach den Originalkopien Büchels in Kleinbasel der lote des Narren dunkelfarbig gemalt , in Grossbasel der Tote des Wucherers , der zum Überfluss im Text geradezu ein „schwarzer Tod“ genannt wird. Ferner spricht in Kleinbasel und den oberdeutschen Holzschnitten und Handschriften der Tote zum König: „Ich führ’ Euch hier bei der Hand an dieser schwarzen „Brüder Tanz“; und in den Handschriften ruft das Kind: „Ein schwarzer Mann zieht mich dahin.“ Dass auch unter den „schwarzen Brüdern“ die Toten verstanden sind, scheint mir zweifellos, weil in (frossbasel statt dessen „dürre Brüder“ steht, gerade so w ie der Kleinbasler Text den „schwarzen Mann“ des Kindes durch „mageren Mann“ ersetzt, was die Beziehung auf die Toten vollends sicherstellt1).

Den ältesten bildlichen Darstellungen des Todes und der Toten war also ein Schema gemeinsam, dessen Hauptmerkmale in einem fleischigen, wenn auch mehr ocicr weniger leichenhaften Körper von schwarzer, bcz. dunkler Farbe mit einem Totenschädel oder einem ähnlich grausenhaft wirkenden Kopf bestanden, und das schon vom Ende des 13. Jahrhunderts an so weit verbreitet und anerkannt sein musste, dass alle Maler jener und der folgenden Zeit sich danach richten konnten. Dass ein Miniator ohne äussere Veranlassung darauf verfiel, das bis dahin benutzte Sinnbild des Todes, den nackten Mann, gegen jenes wunderliche Gebilde zu vertauschen, ist nicht gerade wahrscheinlich; und noch unwahrscheinlicher ist, dass eine solche Miniatur in weiten Kreisen und über die Landesgrenzen hinaus Nachahmung fand und eine volkstümliche Figur wurde. Einen solchen volkstümlichen und auf weite Kreise wirkenden Einfluss hatte aber andererseits unzweifelhaft das Schauspiel des Totentanzes, das schon im 14. Jahrhundert als allbekannte Erscheinung in Dichtungen citiert und etwa um dieselbe Zeit nach Spanien eingeführt wurde und daher wohl bis ins 13. Jahrhundert zurückgehen mochte. Wenn es vielleicht schon im 14. Jahrhundert, jedenfalls vom Anfang des 15. Jahrhunderts an, zahlreiche Gemälde hervorrief, deren Gestalten von ihm beeinflusst sein mussten, so ist es beinahe ebenso sicher, dass es schon vorher die Miniaturen in gleicher Weise beeinflusst hatte, mit anderen Worten, das gesuchte Vorbild für die verschiedenen Toten-gestalten lieferte.

Diese letzteren mussten im Schauspiel irgendwie gekennzeichnet sein, und da an eine vollkommene Maske nicht zu denken ist, so werden zweifellos dieselben einfachen Kunstmittel dazu gedient haben, die auch später zu demselben Zweck angewendet wurden. Bei dem häufig erwähnten, von Vasari beschriebenen Fastnachtszuge, der zu Ende des 15. Jahrhunderts in Florenz stattfand, figurierten auch Tote, die den Gräbern entstiegen, um ein Memento mori zu predigen*). Sie wurden von Männern in schwarzen Gewändern mit darauf gemalten Skelettteilen dargestellt, und von anderen sie begleitenden ,,Toten“ wird ausdrücklich angeführt, dass sie Totenkopfmasken trugen Fiorillo, Naumann, Wackernagel. Da hätten wir also die beiden Hauptmerkmale des gesuchten Vorbilds in der beglaubigten Darstellung von Toten durch lebende Personen thatsächlich vereinigt. Auch ist nichts natürlicher, als dass diese eigentümliche Maske bei den geistlichen Darstellern des alten Totentanzes dadurch entstand, dass sie, um unkenntlich und zugleich gespenstisch , totenhaft zu erscheinen, Ungewöhnliches schwarzes Gewand ebenso benutzten, wie es bei manchen Orden jener Zeit üblich war**) und auch gegenwärtig bei gewissen Leichenbestattern in Italien Sitte ist die Kapuze des Mönchskleides brauchte nur über den Kopf gezogen und mit Ausschnitten für die Augen, vielleicht auch für Nase und Mund versehen zu werden, um wenigstens in der Vorderansicht den Eindruck eines Totenkopfes zu erzielen. Dass diese Ähnlichkeit nur eine annähernde war, stimmt vorzüglich mit der Thatsache, dass diejenigen Maler, denen nicht wirkliche Totenköpfe als Modelle zur Verfügung standen und die sieh daher nach den gesehenen oder ihnen beschriebenen Figuren des Schauspiels richteten, das wiederholten, was an den letzteren unvermeidlich war, an Totenschädeln aber fehlerhaft ist, z. B. das Hervortreten der Nase im Profil, die Andeutung der Augen in den Augenhöhlen u. s. w., oder die Köpfe ihrer Totengestalten geradezu fratzenhaft gestalteten. Das übrige Mönchskleid , das anfangs vielleicht unverändert unter der Kopfmaske getragen wurde, mag später, um Rumpf und Glieder in bessere Übereinstimmung mit dem Kopf zu bringen und an einen nackten Körper zu erinnern, um Arme und Beine enger zusammengezogen worden sein ).

Diese dem Volk nicht selten vorgeführte Gestalt war in Frankreich und Deutschland sicherlich traditionell und allbekannt geworden, bevor eine bildliche Darstellung derselben Art entstand, die daher naturgemäss an jene volkstümlichen Vorbilder anknüpfte. Dabei wurde tlas Mönchskleid fortgelassen oder durch Leichentücher ersetzt, während der nackte Körper wenigstens anfangs zur Erhöhung des unheimlichen Eindruckes die schwarze Farbe jenes Kleides behielt. Auf diese Weise erklären sieh alle angeführten Eigen-tümlichkeiten der gemalten Todes- und Totenfiguren, sowie ihre Identität in den verschiedenen Ländern: beide wurden gleicherweise dem wirklich aufgeführten Schauspiel entlehnt, und ihre besondere Form ist nicht a uf eine b e w u s s t e E r f i n d u n g der Maler, sondern auf die künstlichen Masken der geistlichen Schauspieler zurückzuführen. Bei dieser ersten Form der Totengestalt blieben die Maler allerdings nicht stehen, sondern versuchten in verschiedener Weise den ererbten Typus zu vervollkommnen, worüber das Nähere in der Einzelbesehreibung angegeben wird. Hier sollte nur versucht werden, den Ursprung der ältesten gemalten Totcngestalten, worüber bisher jeder Anhalt fehlte, naehzuweisen. Und es ist bemerkenswert, dass nicht nur die gemalten Totengestalten, sondern auch gewisse, sonst völlig unverständliche Ausdrücke des Textes (schwarz, dürr) auf die Todesfiguren des geistlichen Schauspieles und so auf dieses als den eigentlichen Vorläufer der Totentanzbilder hinweisen.

Durch die neueren Forschungen ist die Auffassung Wackernagels, dass der Totentanz schon im 13. Jahrhundert als geistliches Schauspiel in Frankreich aufkam, sichergestellt worden. Nicht so bestimmt lauten die Nachrichten über seine Verbreitung nach den benachbarten Ländern. Die ursprüngliche Einrichtung des französischen Schauspiels findet sich nur im spanischen und im Lübecker Text; eine wirkliche Aufführung des Schauspiels ist aber für Lübeck ausgeschlossen, für Spanien nicht nachgewiesen. Die Verpflanzung des Totentanzes nach England fand nur auf dem Wege von Nachahmungen des Pariser Gemäldes statt; die Art seiner Einführung in Süddeutschland bleibt aber unentschieden. Denn obwohl dort nur Gemälde und solchen angepasste Texte des Totentanzes bekannt geworden sind, nimmt Wackernagel die Existenz eines deutschen Schauspiels an, was wieder von Gödecke, Seinaase, Seelmann bestritten wird. Ich werde noch darauf zurückkommen. Alle übrigen deutschen, italienischen und sonstigen Bilder sind Nachbildungen der vorhin genannten. Jedenfalls verdrängten die Gemälde überall, wo sie aufgekommen waren, das Schauspiel, das sie so bequem ersetzten, vollständig; die letzten verbürgten Aufführungen fanden im 15. Jahrhundert in Frankreich statt

ln welcher Form aber auch der Totentanz sich ausbreitete, so lag es in der Natur solcher für das Volk bestimmten Schaustellungen, dass sie nicht an einen festgelegten Text gebunden waren, vielmehr sich nur an ein allgemeines, durch die Geistlichen überliefertes Schema hielten, im einzelnen aber, um den rechten Eindruck auf ihr Publikum nicht zu verfehlen, sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Landes oder Ortes richteten und daher in der Wahl der Scenen und in den begleitenden Reden um so mehr voneinander abwichen, je mehr die Orte der Handlung durch Entfernung und nationale Grenzen voneinander getrennt waren. Andererseits ist in jedem Lande, wo das Interesse für den Totentanz länger anhielt, eine gewisse Entwickelung desselben, wenigstens in der äusseren Erscheinung, nicht zu verkennen War in dieser Beziehung schon der Übergang vom Schauspiel zum dauernden Gemälde bedeutsam, so wurde die ausserordentliche Volkstümlichkeit des Totentanzes doch erst dadurch erreicht, dass die Gemälde und ihre Texte reproduziert und in zahlreichen Drucken verbreitet wurden. Diese neue Erscheinungsform des Totentanzes begann in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Deutschland, dem Frankreich zu Ende desselben Jahrhunderts folgte; selbst Italien lieferte xylographische Flugblätter des Totentanzes. Die bekannt gewordenen Handschriften ohne Illustrationen konnten, von so grossem Wert für die historische Forschung sie auch sind, in der Entwickelung des Totentanzes keine wesentliche Rolle spielen; denn der eigentliche Träger dieser Entwickelung blieb die bildliche Darstellung jeder Art (Schauspiel, Gemälde, Skulptur, Bilderdruck), der Text nur eine Erläuterung dazu, die nicht selten fortblieb und einer eigentlichen Entwickelung gar nicht fähig war.

Der Schauspieltext des Totentanzes enthält kaum mehr als die lehrhaften Wechselrcdcn des Todes und der Lebenden, so dass sein dramatischer Charakter sogar verkannt werden konnte und z. B. ernstlich diskutiert wurde, ob der spanische Text ein blosses Lehrgedicht sei oder zu einem Schauspiel gehöre. Die für jene Zeit gewiss nicht geringe dramatische V irkung beruhte also ausschliesslich in der Schaustellung. Und als der Übergang zum Gemälde ganz merkliche Abänderungen der alten Anordnung nötig machte, blieb gelegentlich, in Lübeck, Reval und zum Teil in Paris, der alte Text noch unverändert; die Bereicherungen endlich, die das Gemälde durch ganz neue Scencn erfuhr (Beinhaus, biblische Bilder u. s. w.), wurden im Text häufig gar nicht berücksichtigt, auch wenn sic, wie Sich zeigen wird, eine neue Auffassung des Ganzen begründeten. Noch mehr gilt dies für die Ausbildung der einzelnen Scencn, in denen sich nunmehr das dramatische Leben des Bildes konzentrierte. Je mehr dieses plastisch herausgearbeitet wurde, desto mehr musste der lehrhafte Text belanglos werden, bis endlich das Bild sich von ihm völlig loslöste und zum selbständigen Kunstwerk wurde, das den alten didaktischen Zweck durch einen rein ästhetischen ersetzte.

Dieses durch Hohlbein erreichte Ziel ist der Höhepunkt und eigentliche Abschluss in der Entwickelung des Totentanzes; cs folgten nur noch Nachahmungen mit sich stetig abschwächcndcm Erfolg, und wenn unser Jahrhundert mit neuem Interesse diesen Gegenstand verfolgt, so geschieht es nur noch in kultur- und kunsthistorischer Richtung. Als lebendiges Zeugnis der Zeit gehört der Totentanz hauptsächlich dem Mittelalter an.

Um diese Entwickelung der Totentanzbilder in ihren Beziehungen zu Holbein in das richtige Licht zu rücken, verteile ich den Stoff in die natürlichen Gruppen, i) der französischen und der aus ihnen unmittelbar hervorgegangenen niederdeutschen, 2) der oberdeutschen, 3) der HOLBEINschen Totentänze.

Aus dem Buch: Holbeins Totentanz und seine Vorbilder (1897), Author: Goette, Alexander.

Siehe auch: Hans Holbeins Totentanz und seine Vorbilder – Einleitung.


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